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Konzept

Wettbewerb und Konkurrenz als Handlungs- und Deutungsmuster sind bislang nahezu ausschließlich in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen – in ersteren meist mit normativen und anwendungsorientierten Forschungszielen (aus Sicht der Ökonomie Wohlgemuth 2012; Hayek 1978;  normativ aus pädagogischer Perspektive siehe exemplarisch Wagner und Neber 2007) – behandelt worden. Dabei basieren kompetitive Logiken – so die dem Netzwerk zugrunde liegende These – auf komplexen und mitunter latent wirksamen kulturellen Grundlagen (siehe dazu auch Starbatty u.a. 2012). Wettbewerb und Konkurrenz haben als Praxis wie als diskursive Formation zudem kulturelle Effekte: Sie haben Auswirkungen darauf, wie Menschen sich selbst interpretieren, wie sie in sozialen Gruppen interagieren, wie sie ihr Alltagsleben – sowohl in der Freizeit als auch im Beruf – gestalten oder wie sie Gesellschaft und deren Transformation deuten. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive setzt deshalb auf zwei Ebenen an: Zum einen geht es darum, die kulturellen Grundlagen von Wettbewerb und Konkurrenz als Deutungsmuster wie als Interaktionsmodus (vgl. Nullmeier 2002) zu rekonstruieren. In welchen soziopolitischen und ökonomischen Kontexten konnten sich spezifische Verständnisse von Wettbewerb artikulieren und durchsetzen (exemplarisch Ulf 2013)? Warum sind die hinter diesen Verständnissen wirkenden Ideologeme jeweils plausibel? In einer solchen Perspektive lässt die Auseinandersetzung mit Wettbewerb und Konkurrenz dann auch Zeit- und Gesellschaftsdiagnosen zu: Warum etwa verdichten sich um 1900 Wettbewerbspraktiken und -diskurse (siehe am Beispiel des Diskurses um das Konzept Leistung Verheyen 2012; zur Sieger-Ikonographie um 1900 Walther 2007)? Zum anderen fragen kulturwissenschaftliche Disziplinen dann auf einer Mikroebene und in akteurszentrierter Forschung danach, wie durch die historisch zu kontextualisierenden Wettbewerbsideologien Konkurrenz jeweils hergestellt wird: Wann nehmen soziale Akteure Konkurrenzbeziehungen in welcher Weise wahr? Welche kulturellen und sozialen Effekte ergeben sich daraus? Welche kulturellen Muster zeigen sich, wenn Konkurrenz auf einer Alltagsebene in Handlungen und Deutungen übersetzt wird?

Das Netzwerk „Wettbewerb und Konkurrenz: Zur kulturellen Logik kompetitiver Figurationen“ verfolgt das Ziel, die zunehmende Durchdringung von Lebens- und Alltagswelten durch kompetitive Logiken, Praktiken und Diskurse einer kulturwissenschaftlichen und interdisziplinär argumentierenden Analyse zu unterziehen. Damit ergänzt das Netzwerk die in jüngster Zeit wachsende Zahl an sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu Wettbewerb und Konkurrenz bzw. der Wettbewerbs- oder Leistungsgesellschaft (u.a. Werron 2011; Wetzel 2013; Neckel 2008; zur wirtschaftswissenschaftlichen Kritik siehe Binswanger 2010) um explizit mikroperspektivisch ausgerichtete kulturwissenschaftliche Zugänge, die wiederum in größere Zusammenhänge eingeordnet werden. Ziel ist es zu verstehen, wie Wettbewerbsideologien entstehen und diffundieren, über welche kulturell vermittelten Praktiken sie veralltäglicht und legitimiert werden und wie sie sich in die Selbstdeutungen sozialer Akteure einschreiben (exemplarisch Klaus und O’Connor 2010). Um diese Prozesse analysieren zu können, formuliert das Netzwerk zunächst eine gemeinsame Arbeitsdefinition von Wettbewerb und Konkurrenz, bevor in weiteren Arbeitstreffen theoretische Prämissen sowie einzelne analytische Schwerpunkte systematisch und vergleichend aufgearbeitet werden. Die komparative Ausrichtung des Netzwerks, die den Vergleich als heuristisches Instrument nutzt, bezieht sich nicht nur auf die von den Mitgliedern exemplarisch untersuchten Felder, sondern auch auf die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, die einen deutlichen kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt hat, jedoch interdisziplinär orientiert ist. Dabei verfolgt das Netzwerk das Ziel, Differenzen von Wettbewerbslogiken in unterschiedlichen Feldern zu benennen und zu analysieren: Unterscheiden sich beispielsweise konkurrierende Nationalstaaten von Konkurrent/innen im sportlichen Feld? Wie sind performative Wettbewerbe, die Gewinner und Verlierer produzieren (am Beispiel Castingshows Lünenborg 2011), von ökonomischen Wettbewerbsmechanismen zu unterscheiden? Dabei ist schließlich zu fragen, woraus mögliche Differenzen resultieren und welche Auswirkungen diese haben. Vor diesem Hintergrund fragen die Mitglieder auf einer Meta-Ebene auch nach disziplinär differenten Interpretationsmöglichkeiten.

Ausgehend von unterschiedlichen Formen, Formaten und Praktiken von Konkurrenz und Wettbewerb fragt das Netzwerk jedoch auch nach möglichen kulturellen Mustern im Umgang mit sowie in der Materialisierung und in der performativen Herstellung von Konkurrenz und Wettbewerb. Kann man dabei von einer kulturellen Grammatik von Konkurrenz und Wettbewerb sprechen, wie sie etwa auch Theodor Geiger in seinen Arbeiten annahm? Funktionieren etwa Bewerbungsgespräche nach denselben kulturellen Mustern wie die Auswahlprozesse in medial vermittelten Casting-Formaten (vgl. Pörksen und Krischke 2010)? Entspricht die Entscheidungsfindung einer Jury bei einem Architekturwettbewerb den Evaluationsmechanismen bei einem Hochschulranking?

Das Interesse für Differenzen und Gemeinsamkeiten kompetitiver Logiken sowie für gegenläufige Praktiken und Diskurse verfolgt das Netzwerk vor dem Hintergrund dreier analytischer Querstreben, die jenseits der Themen der Arbeitstreffen, im Zuge der gesamten Netzwerkaktivitäten verfolgt werden:

  • So stellt das Netzwerk übergeordnet erstens die Frage, wie im Zuge von Wettbewerbskulturen Erfolg, Leistung und Qualität hergestellt und diskursiv verhandelt werden. Wer legt etwa Leistungskriterien in welcher Weise fest? Wie werden diese Kriterien jeweils plausibilisiert, autorisiert und in Praktiken der Überprüfung konkretisiert?
  • Diese Perspektive führt zweitens zur Frage, in welchem Zusammenhang Wettbewerb und Konkurrenz und die wachsende Bedeutung von Rechenschafts- und Evaluationskulturen stehen (exemplarisch Shore und Wright 2000; Schwarz 2006).
  • Und drittens ist zu fragen, welche neuen sozialen Rollen – etwa jene eines „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007; siehe auch Kirchgässner 2008) – sich in Wettbewerbskulturen etablieren und welche Auswirkungen diese auf Selbstkonzeptionen in Wettbewerbskontexten handelnder Akteure haben. Gerade diese letzte Perspektive greift explizit auch die im Untertitel des Netzwerks in Rekurs auf Norbert Elias formulierte Frage nach den mit Konkurrenz und Wettbewerb entstehenden sozialen Figuration auf (vgl. Elias 2009 [1970]): Welche „Spieler“ konstituieren ein Netz kompetitiver Handlungen? Welche Interaktionsmöglichkeiten gibt es dabei? Und schließlich auf einer epistemologischen Ebene: Welcher Akteursbegriff muss, wenn man etwa auch auf die Konzepte der Akteur-Netzwerk Theorie zurückgreift, einer solchen Analyse zugrundeliegen?

 

Literatur (Auswahl)

  • Binswanger, Mathias: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg 2010.
  • Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a.M. 2007.
  • Elisas, Norbert: Was ist Soziologie? Weinheim, München 112009 [Original 1970].
  • Hayek, Friedrich von: Competition as a Discovery Procedure. In: Ders.: New Studies in Philosophy, Politics, Economics and the History of Ideas. Chicago 1978: 179-190.
  • Kirchgässner, Gebhard: Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Tübingen 32008.
  • Klaus, Elisabeth; O'Connor, Barbara: Aushandlungsprozesse im Alltag: Jugendliche Fans von Castingshows. In: Röser, Jutta u.a. (Hg.): Alltag in den Medien - Medien im Alltag. Wiesbaden 2010: 48-72.
  • Lünenborg, Margreth u.a.: Skandalisierung im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality TV Formaten (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, 65). Berlin 2011.
  • Neckel, Sighard: Flucht nach vorn. Die Erfolgskultur der Marktgesellschaft. Frankfurt a.M., New York 2008.
  • Nullmeier, Frank: Wettbewerbskulturen. In: Müller, Michael u.a. (Hg.): Der Sinn der Politik. Kulturwissenschaftliche Politikanalysen (Erfahrung - Wissen - Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie, 3). Konstanz 2002: 157-175.
  • Pörksen, Bernhard; Krischke, Wolfgang (Hg.): Die Casting-Gesellschaft. Die Suche nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien. Köln 2010.
  • Schwarz, Christine: Evaluation als modernes Ritual. Zur Ambivalenz gesellschaftlicher Rationalisierung am Beispiel virtueller Universitätsprojekte. Hamburg 2006.
  • Shore, Chris; Wright, Susan: Coercive accountability: the rise of audit culture in higher education. In: Strathern, Marilyn (Hg.): Audit Cultures. Anthropological studies in accountability, ethics and the academy. London, New York 2000: 57-89.
  • Starbatty, Joachim u.a. (Hg.): Kultur des Wettbewerbs - Wettbewerb der Kulturen (Impulse - Villa Vigoni im Gespräch, 7). Stuttgart 2012.
  • Ulf, Christoph: Wettbewerbskulturen zwischen Realität und Konstrukt. In: Tauschek, Markus (Hg.): Kulturen des Wettbewerbs. Formationen kompetitiver Logiken (Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 10). Münster u.a. 2013: 75-95.
  • Verheyen, Nina: Unter Druck. Die Entstehung individuellen Leistungsstrebens um 1900. In: Merkur 66/5 (2012): 382-390.
  • Wagner, Harald; Neber, Heinz: Nationale und internationale Leistungswettbewerbe im Kontext. In: Heller, Kurt A.; Ziegler, Albert (Hg.): Begabt sein in Deutschland. Berlin 2007: 210-232.
  • Walther, Christine: Siegertypen. Zur fotografischen Vermittlung eines gesellschaftlichen Selbstbildes um 1900. Würzburg 2007.
  • Werron, Tobias: Zur sozialen Konstruktion moderner Konkurrenzen. Das Publikum in der ‚Soziologie der Konkurrenz‘. In: Tyrell, Hartmann u.a. (Hg.): Simmels große "Soziologie". Eine kritische Sichtung nach hundert Jahren. Bielefeld 2011: 227-258.
  • Wetzel, Dietmar J.: Soziologie des Wettbewerbs. Eine kultur- und wirtschaftssoziologische Analyse der Marktgesellschaft. Wiesbaden 2013.
  • Wohlgemuth, Michael: Dimensionen des Wettbewerbs: Thesen, Theorien, Trugschlüsse. In: Starbatty, Joachim u.a. (Hg.): Kultur des Wettbewerbs - Wettbewerb der Kulturen (Impulse - Villa Vigoni im Gespräch, 7). Stuttgart 2012: 37-58.